Mit der Novellierung des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) und der Straßenverkehrsordnung (StVO) ergeben sich für die Kommunen vielfältige neue Möglichkeiten, umweltfreundliche Verkehrsarten zu fördern und die Lebensqualität in den Städten und Gemeinden zu verbessern. Sebastian Kaufmann, Referatsleiter des Referats 46 – Verkehrsrecht und Verkehrssicherheit des Ministeriums für Verkehr Baden-Württemberg, ordnet im Interview mit dem Kompetenznetz Klima Mobil die gesetzlichen Änderungen ein und stellt neue Anordnungsmöglichkeiten vor.
Kompetenznetz Klima Mobil: Die Novelle wird teilweise als Paradigmenwechsel im Straßenverkehrsrecht gefeiert, manche Akteure halten die Auswirkungen jedoch für begrenzt. Wie groß ist die “Revolution” wirklich?
Sebastian Kaufmann: Richtig ist, dass neben den Grundprinzipien der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs erstmals neue Aspekte in das Straßenverkehrsgesetz (StVG) aufgenommen wurden. Auf dieser Grundlage kann die Straßenverkehrsordnung (StVO) so angepasst werden, dass auch verkehrsrechtliche Anordnungen aus Gründen des Umwelt-, Gesundheits-, oder Klimaschutzes sowie der geordneten städtebaulichen Entwicklung getroffen werden können, sofern die Leichtigkeit des Verkehrs berücksichtigt wird und entsprechende Anordnungen nicht die Sicherheit des Verkehrs beeinträchtigen. Zudem wird zum ersten Mal das Wort „Klima“ im StVG und in der StVO erwähnt. Diese Öffnung für Gründe des Umwelt- und Klimaschutzes ist sehr zu begrüßen, da hierdurch in der Praxis besser auf lokale Herausforderungen reagiert werden kann. Großer Wert wurde in der Novelle auch auf die Verkehrssicherheit gelegt, diese darf in keiner Weise durch die neuen Anordnungsgrundlagen beeinträchtigt werden. Ein starker Fokus auf die Verkehrssicherheit ist auch in unserem Sinne, um die Vision Zero mit null Verkehrstoten zu erreichen. Auch die Leichtigkeit des Verkehrs, das heißt der Verkehrsfluss, muss bei Anwendung der neuen Grundlagen stets berücksichtigt werden. Dabei kann es aber unter Umständen gerechtfertigt sein, wenn einzelne Verkehrsteilnehmende Nachteile in Kauf nehmen müssen.
Kompetenznetz Klima Mobil: Diese Änderungen klingen zunächst sehr weitreichend und sollten die Handlungsspielräume für die Straßenverkehrsbehörden deutlich erweitern – schließlich erhöhen Maßnahmen zur Förderung des Umweltverbundes in der Regel die Verkehrssicherheit für alle Verkehrsteilnehmenden; auch Geschwindigkeitsbegrenzungen fördern die Verkehrssicherheit. Die Anforderungen wären also voraussichtlich in den meisten Fällen erfüllt.
Sebastian Kaufmann: Genau, natürlich immer vorausgesetzt, dass alles korrekt umgesetzt wird. Aber da sind wir auch schon bei den Grenzen der Novelle. Zwar wurde in das StVG die Ermächtigung aufgenommen, die StVO aufgrund der neuen Erwägungsgründe anzupassen – dies ist in der beschlossenen StVO-Novelle aber nur in einzelnen Punkten geschehen. Ausschließlich aus Gründen des Umwelt-, Gesundheits- oder Klimaschutzes sowie der geordneten städtebaulichen Entwicklung können derzeit nur Busspuren sowie Lichtsignalanlagen, die den Busverkehr bevorrechtigen, vereinfacht eingeführt und Flächen für den fließenden und ruhenden Rad- und Fußverkehr bereitgestellt werden. Diese Maßnahmen müssen, anders als bisher, keine konkrete Gefahrenlage bekämpfen und auch nicht nach § 45 Abs. 9 S. 1 StVO zwingend erforderlich sein. Maßnahmen wie z.B. flächendeckende Geschwindigkeitsbeschränkungen sind dagegen auch nach neuem Recht nicht möglich. Allerdings wurde der Katalog der sensiblen Einrichtungen, vor denen vereinfachte Geschwindigkeitsbeschränkungen angeordnet werden können, erweitert und ein Lückenschluss zwischen verschiedenen Geschwindigkeitsbeschränkungen ist ab sofort auf bis zu 500 Metern möglich.
Kompetenznetz Klima Mobil: Viele Mitgliedskommunen des Kompetenznetzes Klima Mobil beschäftigen sich zurzeit mit dem kommunalen Parkraummanagement – können Sie sagen, ob es auf diesem Gebiet Änderungen gab?
Sebastian Kaufmann: Ja, es hat Änderungen gegeben, die auch für Kommunen mit angespannter Parkplatzsituation sehr hilfreich sein können. So kann künftig bereits bei drohendem Parkraummangel Bewohnerparken angeordnet werden. Dies kann z.B. dann erforderlich sein, wenn in Gebieten bereits absehbar ist, dass viele Parkende die Bewirtschaftung vermeiden wollen und deshalb mit einer erhöhten Parkraumnachfrage am Rand der Bewohnerparkzone zu rechnen ist. Wird das Bewohnerparken in einem städtebaulich-verkehrsplanerischen Konzept vorgesehen, um damit negative Auswirkungen auf die Umwelt oder die städtebauliche Entwicklung der Kommune zu vermeiden, ist eine Anordnung auch ohne einen bestehenden oder drohenden Parkraummangel zulässig. Zu beachten ist aber wie bei allen neu eingeführten Anordnungsgrundlagen, dass die Leichtigkeit des Verkehrs berücksichtigt und die Sicherheit des Verkehrs nicht beeinträchtigt wird.
Kompetenznetz Klima Mobil: Die Mitgliedskommunen unseres Netzwerkes berichten häufig, dass der Nachweis eines Parkraummangels in der Praxis sehr aufwändig sein kann. Diese Regelung dürfte in der Praxis tatsächlich eine deutliche Verbesserung darstellen. Gibt es weitere Erleichterungen, die wir noch nicht diskutiert haben?
Sebastian Kaufmann: Ja, in der Regel ist für Beschränkungen des fließenden Verkehrs eine sogenannte qualifizierte Gefahrenlage notwendig. Hiervon gibt es Ausnahmen, und dieser Ausnahmenkatalog wurde in der Novelle durch mehrere Maßnahmen ergänzt. Neu hinzugekommen sind hier Sonderfahrstreifen, Bussonderfahrstreifen und Fußgängerüberwege. Insbesondere die Sonderfahrstreifen könnten für die Kommunen interessant werden, da hier auch besondere Mobilitätsformen erprobt werden können – zunächst befristet bis Ende 2028. Zudem können Kommunen in Zukunft straßenverkehrsrechtliche Anordnungen bei den zuständigen Straßenverkehrsbehörden beantragen, und haben einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung.
Kompetenznetz Klima Mobil: Die Novelle bringt also einige spannende Punkte mit sich, die die Gestaltungsmöglichkeiten der Straßenverkehrsbehörden in den Kommunen erhöht.
Sebastian Kaufmann: Gerade diese erste Öffnung des bisher sehr restriktiven Straßenverkehrsrechts hin zu einer den tatsächlichen örtlichen Bedürfnissen und Zielen besser entsprechenden Rechtslage war ein wichtiger Schritt, auf dem künftige Novellierungen sicher noch aufbauen können. Die Anpassungen verschaffen Kommunen aber bereits heute die Möglichkeit, umweltfreundliche Verkehrsträger zu fördern und die Lebensqualität in den Städten und Gemeinden zu erhöhen.