Vorstellung Koalitionsvertrag – Interview mit Herr Christoph Erdmenger, Abteilungsleiter Nachhaltige Mobilität beim Ministerium für Verkehr BW

Herr Christoph Erdmenger, Quelle, Ministerium für Verkehr BW
Im Gespräch mit Herrn Christoph Erdmenger, Leiter der Abteilung Nachhaltige Mobilität im Ministerium für Verkehr – 5 Fragen zum aktuellen Koalitionsvertrag in Baden-Württemberg
Herr Erdmenger, alle fünf Jahre wird in Baden-Württemberg gewählt, alle fünf Jahre ein neuer Koalitionsvertrag. Was ist dieses Mal anders/besonders?
Dieses Mal ist Klimaschutz das wichtigste Thema im Koalitionsvertrag und Klimaneutralität soll bereits 2040 erreicht werden. Fest steht: Wenn wir jetzt nicht aktiv werden im Klimaschutz, werden die Folgekosten, die wir ja heute schon zahlen, ungleich höher sein. Dabei macht der Vertrag auch nicht halt vor unbequemen Themen, z.B. künftigen Straßenbauprojekten. Sollen sie z.B. eine Förderung nach dem Landesgemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (LGVFG) erhalten, werden sie künftig einem Klima-Check unterzogen, Ortsumfahrungen sind dann nicht mehr Selbstzweck, sondern Ergänzungen zum Straßenumbau innerorts. Was bleibt ist aber auch die Kontinuität und Verlässlichkeit: Was die Landesverwaltung bereits begonnen hat, wird auch zu Ende geführt, auch beim Straßenbau.
Für den Klimaschutz braucht es nicht nur Symbole. Wo finden sich denn hochwirksame Maßnahmen zum Klimaschutz wieder?
Ein symbolstarkes Thema ist ja die Unterstützung von Kommunen zur Einführung autofreier Innenstädte, die verankert wurde. Nun reicht es aber nicht, nur in Innenstädten aktiv zu werden, das betrifft nur ein paar wenige Prozent des Autoverkehrs. Daher sehe ich ein größeres Potential in den auch vorgesehenen Null-Emissions-Zonen, die in Wohnquartieren und Gewerbegebieten wirksam werden. Dort werden schrittweise weniger Autos und diese dann nur noch als klimaneutrale Fahrzeuge den Verkehr abwickeln. Das hat dann eine Strahlkraft auf die gesamte Stadt und darüber hinaus. In die Fläche wirken aber z.B. auch die vorgesehenen Radschnellwege und das RadNETZ, die Parkraumbewirtschaftung und der Umbau von Ortsdurchfahrten zu Ortsmitten.
Wie werden die Kommunen bei der Umsetzung dieser Maßnahmen unterstützt?
Das geschieht auf mehreren Ebenen:
- Finanziell besonders über das LGVFG. Über das LGVFG fördern wir besonders klimafreundlichen Infrastruktur, teils mit einem vereinfachten Verfahren. Im Bereich Rad- und Fußverkehr werden beispielsweise der Umbau von Fahrspuren und Stellplätzen des Kfz-Verkehrs zu Rad- oder Fußverkehrsanlagen sowie Fahrradabstellanlagen gefördert.
- Personell über die Förderung von Personal für die nachhaltige Mobilität.
- Fachlich über die konkrete Projektunterstützung und die Förderung von Fachkonzepten zur Stärkung der nachhaltigen Mobilität von Morgen.
„Wandel“ und „Veränderung“ sind prominente Motive des Koalitionsvertrags. Sie werden gut 40-mal erwähnt. Was heißt das für die Zukunft der Verwaltung? Weiter wie bisher oder doch alles neu?
Weder noch. Wir befinden uns gerade mitten in tiefgreifenden Veränderungsprozessen, welche alle Teile der Gesellschaft betreffen. Damit meine ich nicht nur die Auswirkungen der Corona-Krise, sondern auch sehr bedrohlicheren Auswirkungen der Klimakrise. Schließlich geht es um nichts geringeres als unsere Existenz. Wir sind an der Schwelle des Wandels in ein neues, postfossiles Zeitalter. Den Schritt in die Zukunft schaffen wir nur, wenn wir einerseits bewährte und erprobte Strukturen stärken, diese andererseits aber auch um frische Ideen und innovative Prozesse ergänzen und am Klimaschutz ausrichten. In der Zuständigkeit des Verkehrsministeriums haben wir hiermit begonnen: 2012 wurde die Abteilung für Nachhaltige Mobilität gegründet; 2020 haben wir ein eigenes Referat für den Klimaschutz im Verkehr installiert. Parallel organisieren wir Teile der Regierungspräsidien um und stellen sie zukunftssicher auf. Und auch bei der KEA BW und der NVBW stehen die Zeichen auf Zukunft und Klimaneutralität. Diesen Prozess werden wir fortsetzen.
Das heißeste Thema zum Schluss: Die Einführung der Mobilitätsgarantie und des Mobilitätspasses. Was kann sich Baden-Württemberg davon erwarten?
Der Mobilitätspass ist neben der Parkraumbewirtschaft vermutlich das stärkste Instrument, für den Klimaschutz im Verkehr. Er trägt gleichzeitig zur Verdopplung der Fahrgastzahlen im ÖPNV und zur Verminderung des Pkw-Verkehrs bei. Und er macht ein ehrliches Angebot: Wo er eingeführt wird, muss man bezahlen – man bekommt dafür aber eine Gegenleistung in Form eines Guthabens.
Im Koalitionsvertrag haben sich die Verhandlungspartner gleichzeitig auf eine Mobilitätsgarantie im Öffentlichen Verkehr verständigt. Dies bedeutet, dass zu den gängigen Verkehrszeiten im Ballungsraum mindestens ein 15-Minuten-Takt, im Ländlichen Raum ein 30-Minuten-Takt sichergestellt werden sollen. Der Mobilitätspass ist dazu eine Option zur Finanzierung dieser Mobilitätsgarantie. Da es Kommunen bereits heute Probleme bereitet, das bestehende Angebot zu erhalten, braucht der Ausbau mehr Geld. So ehrlich muss man sein. Während wir die rechtlichen Rahmenbedingungen schaffen, sind wir bereits im Gespräch mit Modellkommunen. Sie müssen als erstes entscheiden, welches Modell sie einführen möchten. Dies kann eine monatliche Abgabe für alle erwachsenen Einwohnerinnen und Einwohner, alle Kfz-Haltende oder aber Kfz-Nutzende sein, vermutlich wird auch eine Abgabe für Unternehmen möglich. Wenn das entschieden ist, beginnt der spannende Weg durch das Neuland mit dieser Form von Gebühren – das ist was für Verwaltungen mit Pioniergeist.